Jorinde und Joringel

Es war einmal ein altes Schloss in einem großen Wald, in dem eine Zauberin lebte. Am Tage verwandelte sie sich in eine Nachteule und des Abends wurde sie wieder zum Menschen. Näherte sich jemand dem Schloss auf hundert Schritte, so erstarrte er, bis sie ihn lossprach. Eine Jungfrau aber verwandelte die Zauberin in einen Vogel, den sie in einem Korb in einer Kammer des Schlosses versteckte.

Es begab sich, dass ein wunderschönes, jungfräuliches Mädchen namens Jorinde mit ihrem Verlobten namens Joringel im Wald einherspazierte.

Vor der Mauer des Schlosses erschrak Joringel und warnte seine Liebste: "Hüte dich, dass du nicht zu nahe ans Schloss kommst!" 

Jorinde aber sang: "Mein Vöglein mit dem Ringlein rot singt Lei-zicküth."

Als Joringel sich nach Jorinde umwandte, war sie bereits in eine Nachtigall verwandelt und sang. 

Eine Nachteule flog um sie herum und verschwand hinter einem Strauch, aus dem gleich darauf eine alte, krumme Frau herauskam und die Nachtigall fing. Fest erstarrt konnte sich Joringel nicht bewegen, bis das alte Weib wiederkam, um ihn zu erlösen.

Er fiel vor ihr auf die Knie und flehte sie an, ihm Jorinde wiederzugeben, doch vergebens.

Eines Nachts träumte er von einer blutroten Blume, mit der er seine Jorinde befreien könnte. Des Morgens als er erwachte, begann er die Blume zu suchen. Tatsächlich fand er sie und eilte zum Schloss. Obwohl er auf hundert Schritte dem Schlosse nahe kam, erstarrte er nicht. Kaum berührte er mit der Zauberblume das Tor, sprang es auch schon auf. Drinnen fand er den Saal, in dem die Zauberin die Vögel fütterte.

Als sie Joringel sah, tobte sie böse, spie Gift und Galle, aber durch den Zauber der Blume konnte sie nicht näher an ihn herankommen. Wie sollte Joringel nun unter allen Nachtigallen seine Jorinde wiederfinden?

Als er bemerkte, dass die Alte heimlich ein Körbchen wegnahm und zur Türe ging, sprang er flugs hinzu, berührte das Körbchen mit der Blume und die erlöste Jorinde stand vor ihm. Da verwandelte er auch all die anderen Vögel wieder zu Jungfrauen und lebte sehr lange vergnügt mit seiner Jorinde zusammen.

In Anlehnung an das Märchen "Jorinde und Joringel" der Brüder Grimm. Erstveröffentlichung 1812.

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